„Talitha Kumi ist etwas Besonderes“, sagt Birger Reese über das Schulzentrum in Beit Jala. Im Schuljahr 2024/25 hat er die Leitung übernommen.
Als Prozessbegleiter für die Deutschen Auslandsschulen hat Birger Reese den Nahen Osten kennengelernt, auch mit Talitha Kumi hatte er zu tun. Als er erfuhr, dass die Schule einen neuen Direktor sucht, lag es für ihn nahe, sich zu bewerben. Dr. Simon Kuntze sprach mit ihm.
Simon Kuntze: Wenn Du an Deine eigene Schulzeit zurückdenkst: Gibt es Lehrerinnen oder Lehrer, von denen Du sagen würdest, dass sie Dich geprägt oder positiv beeindruckt haben?
Birger Reese: Ich denke noch manchmal an meine Englischlehrerin und Tutorin in der Oberstufe. Die fand ich toll, ich habe sie nach der Schulzeit auch noch mal getroffen. Sie hat mich inspiriert und war auch immer interessiert, was ich mache. Ich fand ihre Leidenschaft für den Job und ihr Engagement, uns etwas mitzugeben, sehr inspirierend. Das hat mich beeindruckt. Ich bin auf dem Dorf groß geworden in Norddeutschland; sie hat es geschafft, den Horizont von uns jungen Leuten zu erweitern, sprachlich, künstlerisch und auch politisch.
Du hast einen interessanten Hintergrund. Du bist an einer deutschen Schule Lehrer gewesen und hast gleichzeitig auch Erfahrungen mit den Deutschen Auslandsschulen gemacht. Was ist besonders an diesen Schulen, wie Talitha Kumi?
Die Deutschen Auslandsschulen haben eine besondere Dynamik, anders als viele deutsche Schulen im Inland. Woher rührt diese Dynamik? Zum einen bleiben die deutschen Lehrkräfte nicht so lange, maximal acht Jahre. Ich glaube, der Schnitt liegt etwa bei fünf Jahren. Dadurch entsteht unheimlich viel Bewegung. Dann sind es Privatschulen mit viel Autonomie. Das gibt unheimlich viele Gestaltungsmöglichkeiten, vor allem, wenn man sich mit dem Vorstand gut abstimmt. Und es spielt natürlich die Begegnung mit den Menschen in den jeweiligen Ländern eine wichtige Rolle. Ich habe erlebt, dass deren Vorstellung von Schule besonders ist und auch das Engagement, gerade hier in Talitha Kumi. Das habe ich in dieser Form noch nicht erlebt. Diese Identifikation über Generationen hinweg. Viele sagen wirklich: Das hier ist meine Schule, das ist ein Teil meiner Identität.
Talitha Kumi hat nur wenige deutsche Schülerinnen und Schüler. Ergibt eine Deutsche Auslandsschule in Beit Jala, im Westjordanland trotzdem Sinn?
Also, was hier passiert mit diesen palästinensischen Jugendlichen, dass wir die Möglichkeit haben, mit ihnen bildungsbezogen zu arbeiten und ihnen vielleicht eine Perspektive zu geben, das finde ich in diesem Umfeld ganz großartig. Es werden christliche Werte, Werte des Miteinanders gelebt. Ich habe hier in den ersten drei Monate niemals gedacht, das ist eine Chimäre. Ich empfinde wirklich, dass die Schule etwas Besonderes ist. Es ist toll, da mitzumachen.
Talitha Kumi ist eine Oase des Friedens, ich finde, das ist keine Floskel. Wie geht es den Kindern und Jugendlichen gerade angesichts des Krieges. Gelingt es ihnen, zumindest manchmal abzuschalten?
Mein Eindruck ist, dass die Schüler das sehr gut können. Viele bleiben gerne nach Schulschluss noch länger auf dem Campus. Übrigens kommen auch manche Eltern nachmittags recht früh, um noch ein bisschen auf dem Gelände zu sein, bevor sie ihre Kinder nach Hause fahren. Sie kommen, setzen sich in die Sonne und genießen die Ruhe. Ich unterrichte eine siebte Klasse, die ist großartig. Ich habe auch viel Zeit mit der neu gewählten Schüler vertretung verbracht. Das hat mir viel Spaß gemacht, die sind total positiv und auch sehr reflektiert, interessiert an Bewegung und Bejahung. Da kann ich keine Tristesse spüren. Das berührt mich ehrlich gesagt auch sehr, diese Haltung der Jugendlichen, diese positive Einstellung und Freude. Man könnte meinen, dass es in der jetzigen Situation Anzeichen von Depressionen oder Verhaltensauffälligkeiten gibt. Das sehe ich so unmittelbar nicht.
Angenommen, Du hast anlässlich Deiner Einführung einen Wunsch frei. Was brauchst Du für die Zeit in Talitha Kumi?
Ich möchte offen und neugierig bleiben und nicht der Versuchung erliegen, mich in der Hierarchie einzurichten und dem Top-Down-Prinzip zu verfallen.
Bericht über die Einführung von Birger Reese als Schulleiter am 16. November 2024