Zum Schluss war er sehr bewegt: Schulleiter Matthias Wolf verlässt Talitha Kumi – und freute sich bei der Verabschiedung über herzliche Dankesworte und zahlreiche Würdigungen. Sechs Jahre lang hat er die Schule durch schwere Zeiten geleitet. (Mit Fotogalerie und der Abschiedsrede von Matthias Wolf.)
Keine Frage: Talitha Kumi ist ein Leuchtturm im Nahen Osten und ein Zentrum der Aussöhnung – dazu hat Matthias Wolf maßgeblich beigetragen.
Eigentlich zwar hatte er sich seine Zeit vor Ort anders vorgestellt. Doch dann kamen die Corona-Pandemie, der Hamas-Terrorangriff auf Israel, der Gaza-Krieg. Rund um die Uhr war der Schulleiter gefordert – und fand bei all dem auch noch Zeit, sich um eine umfassende bauliche Erweiterung und Modernisierung des großen Gebäude-Komplexes zu kümmern.
Sechs Jahre lang Netzwerker, Bauleiter, Feuerwehrmann
Mit Ende des Schuljahres 2023/24 endete nun der Vertrag von Matthias Wolf in Talitha Kumi. Das Berliner Missionswerk lässt ihn nur ungern ziehen. Sechs Jahre lang hat er die vielen Herausforderungen vor Ort bravourös gemeistert, war Netzwerker, Bauleiter, „Feuerwehrmann“.
„Der Schulcampus Talitha Kumi ist das größte Projekt des Berliner Missionswerkes – und es ist zugleich eine Herausforderung. Denn die politische Situation in Israel/Palästina bzw. im Nahen Osten ist dauerhaft brisant, wie wir in diesen Tagen, Monaten und Jahren wieder und wieder erleben“, so Dr. Christof Theilemann, Direktor des Schulträgers Berliner Missionswerk, bei der Entpflichtung Wolfs.
Ein Mann mit besonderem Durchhaltevermögen
„Hier als Schulleiter tätig zu sein, verlangt ganz besondere Fähigkeiten und ganz besonderes Durchhaltevermögen. Denn der Schulleiter steht in der doppelten Verantwortung – einerseits gegenüber dem Träger, dem Berliner Missionswerk, andererseits gegenüber dem Deutschen Auswärtigen Amt. Zugleich pflegt er enge Kontakte zu unseren palästinensischen Partnern, und er ist Chef des gesamten Campus, der ja neben der Grund- und Oberschule die Kindertagesstätte, das Gästehaus und die Hotelfachschule umfasst. Ein Campus mit 900 Menschen will behutsam und besonnen geleitet sein“, so Theilemann weiter.
Zwar habe Talitha Kumi keine politische Rolle in der Region inne, aber: „Die Schule setzt sich mit ihrer Arbeit für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ein, für Bildung und Toleranz, mit dem besonderen Blick auf die Situation der Mädchen im Land. Interkulturelle und interreligiöse Sensibilität sind hier ein Muss!“
Matthias Wolf habe das alles mit „unglaublich viel Empathie, Freundlichkeit, Zugewandtheit und einer besonderen Fähigkeit zur Kommunikation bewältigt“. Er habe sich den hohen Respekt der Menschen verdient, die mit ihm zu tun hatten. Theilemann: „Sein tiefer christlicher Glaube gab seinem Wirken in Talitha Kumi eine eigene Glaubwürdigkeit.“
Nach der Entpflichtung in der Schul-Kirche wurde in der neuen Aula groß gefeiert. Grußworte sprachen Anne-Sophie Beckedorf (Deutsches Vertretungsbüro Ramallah) und Mohammed Taha, Gouverneur von Bethlehem. Auch Lehrerbeirat, Elternbeirat und Schüler:innenvertretung würdigten den unermüdlichen Einsatz von Matthias Wolf für Talitha Kumi. Und natürlich gab es fulminante Musikdarbietungen, viel Lob und viele Geschenke.
Abschiedsrede von Schulleiter Matthias Wolf
Liebe Festgemeinde,
ich freue mich, dass ihr alle zu meiner Verabschiedung gekommen seid.
Wenn man mir vor sechs Jahren gesagt hätte, dass eine Pandemie und ein Krieg ausbrechen würden, ich weiß nicht, ob ich nach Talitha Kumi gekommen wäre. Zum Glück wissen wir nicht, was kommt. Wie heißt es in Herman Hesses Gedichts „Stufen“: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“.
Und so bin ich ein wenig bezaubert vor sechs Jahren hierhergekommen. Mit hohem Respekt vor dieser großen Aufgabe. Ich habe bei meiner Antrittsrede gesagt, dass das Kreuz, welches auf dem Dach unserer Kirche steht, für mich ein Zeichen war, dass dies ein guter und richtiger Platz ist.
Ein wenig fühlte ich mich wie David in der Geschichte mit Goliath: Mit fünf Kieselsteinen in der Hand und einer Riesenaufgabe die mir anvertraut wurde. Was waren diese fünf Kieselsteine?
– eine gehörige Portion Neugier
– die Freude mit Menschen zusammenarbeiten zu können
– einige Visionen und Pläne
– meine in Thailand erworbenen Kenntnisse über das Deutsche Auslandsschulwesen
– ein festes Gottvertrauen, dass wir nie tiefer fallen können als in seine Hand
Am Anfang habe ich fast ein halbes Jahr nur zugehört und mir von den wunderbaren Menschen hier erzählen lassen, was sie bewegt und was sie schon geschafft hatten: Die Schulinspektion lag hinter ihnen, sie war ein Erfolg: „Talitha Kumi ist Exzellente Deutsche Auslandsschule!“
Das tägliche Unterrichten und Leben ist nicht immer leicht, wenn man mit den Einschränkungen dieses Ortes hier leben muss, an der Grenze zwischen C- und A-Gebiet. Ich lernte von der unglaublichen Resilienz unserer palästinensischen Kolleginnen und Kollegen, sah aber auch die Skepsis, mit der sie allem Neuen und jedem Neuen erst einmal begegnen.
Kann man das verübeln? Wir deutsche Kolleginnen und Kollegen kommen und gehen, die wahren Heldinnen und Helden sitzen doch eigentlich hier: Es sind die palästinensischen Ortslehrkräfte, die diese Schule gestalten und mit Leben füllen. Dafür heute mein ganz, ganz herzlichen Dank an euch. Ihr steht für diesen Ort – das ist ein hoher Anspruch dem wir Rechnung tragen müssen.
Und dann braucht man auch immer noch Gefährtinnen und Gefährten, die zur rechten Zeit einem zur Seite gestellt werden:
– Das ist ein Träger, der Vertrauen in einen setzt: das Berliner Missionswerk.
– Das sind Menschen im Schulleitungsteam, die gut zusammenpassen sowie eine Verwaltungsleiterin, Vivian, die mich kritisch-konstruktiv begleitet.
– Das sind Menschen vor Ort, die genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort waren wie z. B. Martina Fink und Naseem Abedrabbo in der Zeit der Bauphase und mein Kollege Milad Ibrahim.
– Das sind die anderen deutschen Kolleginnen und Kollegen, die ich selbst aussuchen durfte für die Arbeit in Talitha Kumi.
Mir war und ist es immer wichtig, dass wir äußerlich die Schule verändern, neue Räume, Wege und Aufenthaltsbereiche schaffen und gleichzeitig auch das „innere Geschäft“, das Kerngeschäft, den Unterricht nicht vergessen. Dies alles wird im kommenden Jahr wieder auf dem Prüfstand stehen, bei der Bund-Länder-Inspektion. Bis dahin ist noch einiges zu tun, aber ich bin sicher, dass Talitha gut aufgestellt ist.
Besonders freuen dürft ihr euch auf meinen Nachfolger, Birger Reese, der in diesem Bereich besonders viel Erfahrung mitbringt. Ich bin froh, dass er für Talitha Kumi ausgewählt wurde. Begrüßt ihn so, wie Ihr mich herzlich begrüßt habt.
Mit meiner palästinensischen Schulleiterkollegin Laura Bishara hat die Schule einen Glücksgsriff gemacht – ein Naturtalent, möchte ich sagen und im besten Sinne interkulturell aufgestellt.
Danke sagen möchte ich auch für die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den hiesigen Behörden, dem Gouverneur Mohammed Taha, dem staatlichen Schulamt, das immer ein offenes Ohr für uns hatte, und last but not least auch dem Bürgermeister Issa Quassis sowie seinem Vorgänger Nicolas Khamis für unser gutes Vertrauensverhältnis.
Danken möchte ich auch an dieser Stelle manchen externen Beratern, wie z. B. Jonny Shawan oder Prof. Sami Adwan, deren Rat und Einschätzung in manchen Situationen mir sehr wertvoll waren. Und last but not least – Dir, lieber Barhoum (Bischof Azar), für Deine solidarische Begleitung und Unterstützung sowie dein Gebet.
Der Beginn des Krieges am 7. Oktober kann einem Angst und Bange für die Zukunft machen. Wird die Spirale des Hasses und der Gewalt weiter gehen oder gibt es Menschen, die sich versöhnen lassen? Das liegt nicht zuletzt auch an uns – ja, auch an Talitha Kumi, dieser ganz besonderen Schule im Schnittpunkt dieses Konflikts.
Vielleicht wird das die wichtigste Aufgabe der nächsten Zeit sein: Wege der Aussöhnung, Versöhnung und eines neuen Miteinanders zu schaffen. Erziehung und Bildung sind hier zentrale Bausteine, die wir gerne aufs Baugerüst tragen. Als Christen wollen wir auch hier Hoffnungsträger und Brückenbauer sein.
Ein letzter aber ganz wichtiger Dank geht an meine Frau und meine Familie, die mich vor sechs Jahren schweren Herzens nach Talitha Kumi haben ziehen lassen. Danke, dass Ihr mir dennoch den Rücken frei gehalten habt, auch wenn es manchmal nicht leicht war. Hierin liegt auch der Grund, weshalb es sechs und nicht acht Jahre geworden sind, die ich hierbleibe.
Und wie geht es weiter bei dir? Was macht der Abschied jetzt mit dir? – So werde ich immer wieder gefragt. Auch hier zitiere ich Hermann Hesse aus obem genanntem Gedicht: „Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern, in andre, neue Bindungen zu geben.“
Ein wenig Wehmut bleibt, aber auch die feste Hoffnung, dass mit Gottes Hilfe diese ganz besondere Schule und ihre Mannschaft eine große Zukunft haben und wichtiger, denn je seien werden – oder, wie es der Regionalbeauftragte der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen einmal sagte: „Ihre Schule, Herr Wolf, ist ein Leuchtturm im Nahen Osten.“
In diesem Sinne: Leuchte Talitha!
Vielen Dank und Gott befohlen!
Matthias Wolf