Talitha Kumi nachts

„Wir tragen eine besondere Verantwortung“

Schulleiter Matthias Wolf berichtet, wie sich die aktuelle politische Lage in Israel, Gaza und Ostjerusalem auf den Alltag in Talitha Kumi auswirkt.

Angesichts der angespannten Stimmung sei es wichtig, Empathie für die jeweils andere Seite im Konflikt aufzubringen. Oberste Priorität habe die Sicherheit aller Schüler*innen, so der Direktor in seinem Statement:

„Aufgrund der aktuellen politischen Lage haben wir in Talitha Kumi vorübergehend den Präsenzunterricht eingestellt. Bis zum Pfingstwochenende unterrichten wir online – zum Glück sind wir durch unsere Erfahrungen während der Coronapandemie darin bereits gut erprobt. Wir haben eine besondere Verantwortung für diejenigen Schüler*innen, die aus Ostjerusalem kommen. Denn die Stimmung ist auch in der Westbank sehr angespannt. An sensiblen Orten wie Checkpoints oder auf den von Siedler*innen genutzten Straßen kann es derzeit zu Ausschreitungen kommen, die dann möglicherweise auch unsere Schüler*innen gefährden – und dieses Risiko wollen wir nicht eingehen.

Daher appellieren wir an die Geduld der Eltern, die aufgrund der momentanen Lage doppelt unter Druck stehen: Zum einen müssen viele von ihnen arbeiten und können es kaum leisten, nun erneut ihre Kinder beim Homeschooling zu betreuen. Zum anderen belastet die aktuelle politische Lage die gesamte Gesellschaft, sowohl auf palästinensisch-arabischer als auch auf israelischer Seite. Und dieser Druck ist deutlich spürbar. Denn der Konflikt findet dieses Mal sowohl in Gaza als auch an vielen anderen Orten statt: In der Region Jerusalem, etwa 15 Kilometer von Talitha Kumi entfernt, schlagen Bomben ein. Einige Familien unsere Schüler*innen können diese Einschläge hören.

Auch in Tel Aviv und Ashkelon ist der Bombenalarm regelmäßig aktiv. Und dass es in den letzten Tagen in Israel mehrfach Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und arabischen Bürger*innen gab, wird hier in der Region sehr bewusst wahrgenommen. Debatten in den sozialen Medien zeigen, dass viele palästinensische Jugendliche aufgrund der sehr aufgeheizten Stimmung durchaus radikalisierbar sind. Sie wollen sich in diesem Konflikt positionieren. Umso mehr gefragt ist hier unsere Verantwortung als Schule, durch Bildungs- und Aufklärungsarbeit zur De-Eskalation beizutragen. Dass dies in reflektierten Diskussionen immer wieder auch gelingt, stimmt mich optimistisch.

Und es gibt auch trotz des Konflikts viele Beispiele gut gelebter Nachbarschaft. So berichtete mir eine Mutter aus Ostjerusalem, sie habe wie immer mit ihrer jüdischen Nachbarin gemeinsam Café getrunken. Die allermeisten Menschen hier, Israelis wie Palästinenser*innen, sind an einem friedlichen Leben interessiert. Daher bleiben wir zuversichtlich und hoffen, dass sich die Situation bald wieder entspannt. Für unsere Kindergartenkinder gibt es auch in der aktuellen Lage ein Betreuungsangebot vor Ort. Ihre Eltern müssen sie allerdings zum kleinen Eingang des Schulzentrums bringen, denn das Tor am Haupteingang Talitha Kumis muss aus Sicherheitsgründen verschlossen bleiben. Die Schulabschlussfeierlichkeiten für den 12. Jahrgang wollen wir wie geplant am 26. Mai abhalten – denn die Leistungen unserer Absolvent*innen zu würdigen, halte ich für sehr wichtig.“